Auch Schwimm-Olympiasieger und Weltmeister schauten irritiert auf die skurrile Szenerie. Ein kleines, zierliches Mädchen vor unzähligen Kameras und Mikrofonen dieser Welt. Dick eingemummelt in ein großes Handtuch kommt die erst zehnjährige Alzain Tareq aus dem Wüstenstaat Bahrain nach ihrem ersten WM-Start in Kasan nur schrittchenweise voran. Alle wollen etwas von der Schülerin wissen.
Ob es ihr Spaß mache, ob sie mit ihrer Zeit zufrieden sei, was ihre Ziele seien. Die Aufmerksamkeit für das 35-Kilo-Leichtgewicht am Freitag auf dem Terrain von muskelbepackten Modellathleten ist größer als für Weltmeister und Weltrekordler.
Aber gehört eine Zehnjährige überhaupt zur Schwimm-WM? Viel zu früh, sagen die einen. Warum nicht, sagen die anderen. Bei deutschen Meisterschaften könnte eine Zehnjährige nicht starten, bei einer EM dürfen junge Frauen erst ab 15 vom Startblock springen. Bei der WM gibt es solche Untergrenzen nicht. Wie viel Druck und wie viel Freiwilligkeit bei einem solch ungewöhnlichen Auftritt dabei sind, wissen letztlich nur die Protagonisten selbst. Sichtlich beeindruckt war Alzain Tareq von den vielen Fragen der Reporter. Zu dem nach offiziellen Angaben 1,36 Meter kleinen Mädchen beugten sich die Journalisten entweder hinab oder gingen gar in die Hocke. Mit einem solchen Ansturm hätten auch Erwachsene zu kämpfen gehabt.
Ja, sie sei glücklich, nein, sie könne schneller schwimmen, und auf jeden Fall wolle sie zu Olympia. Kurz und knapp sprach das Talent, die schwarze Badekappe und die pinke Schwimmbrille auch lange nach dem Rennen immer noch auf dem Kopf. Trotz vieler einsilbiger Antworten auf Englisch dauerte der Interviewmarathon nach ihren 41,13 Sekunden und dem 64. und letzten Platz der Vorläufe über 50 Meter Freistil ewig.
Erst nach einer halben Stunde führte Bahrains Teamleader Khaled Ahmed Abdulla Sultan, die Videokamera immer dabei, den Schützling am Aufwärmbecken und an vielen Schwimmriesen vorbei zur Umkleide. Zum Vergleich: Die Weltbesten brauchen rund zehn Minuten um den Mixed-Zone genannten Fragebereich zu durchschreiten.
Den Jutebeutel, aus dem der Mannschaftsführer ihr irgendwann ein bisschen unbeholfen eine rote Trainingsjacke und ein paar pinke Flipflops gereicht hatte, trug die Nachwuchsathletin beim Weg aus dem Stadion selbst über dem Arm. Stolz stellte sie sich die Tochter einer Lehrerin und eines ehemaligen Schwimmers so noch einmal zu den letzten Erinnerungsfotos in der Arena. Erschöpft wischte sie sich über die Wangen. Endlich hatte die zarte Schwimmerin auch wieder Zeit für einen weiteren Schluck aus der Wasserflasche in ihrer Hand.
“Die ersten Tage hat sie Fotos mit jedem Athleten gemacht, jetzt kommt jeder, auch Trainer, und alle wollen selber Bilder”, schilderte der Vater und erklärte seine Sicht des öffentlich so gehypten Starts in Kasan. “Sie erfüllt sich hier einen Traum. Andere Athleten fragen nach ihrem Alter und können nicht glauben, dass eine Zehnjährige auf höchstem Niveau mitkämpfen kann.”
Das kann die Schülerin mit dem Lieblingsfach Mathe natürlich noch nicht: 15,70 Sekunden schlug sie hinter Schwedens Weltmeisterin Sarah Sjöström an. Aber wenn sie Jahr für Jahr eine Sekunde aufhole, könne sie es bis an die Spitze schaffen. Meint der Vater.
Mit fünf Jahren hat Alzain Tareq angefangen zu schwimmen und in einem Alter, in dem andere Kinder erst das Seepferdchen machen, startete sie nun bei einer WM. Der deutsche Chefbundestrainer Henning Lambertz, der zunächst auch Skepsis anklingen ließ, erlebte eine vergnügte Sportlerin – Popcorn mampfend und lachend. “Das sieht für mich alles nach einem kindlichen, freudvollen und spaßigen Urlaubserlebnis aus und deswegen find’ ich das okay”, befand er.
An fünf Tagen pro Woche trainiert Alzain Tareq je zweimal, laut Papa Tareq wird dabei vor allem Wert auf Technik gelegt. “Sie träumt davon, eine der Besten in der Welt zu sein und spricht schon über Olympia. Wir haben uns 2020 in Tokio als Ziel gesetzt und unsere Strategie darauf ausgerichtet”, erklärte der Vater, auch einer ihrer Trainer. Mit der WM-Teilnahme erfüllt sie auch eine Voraussetzung für einen Start in Rio in einem Jahr. Dort könnte der Hype größer werden.