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23. Februar 2013 00:00 Uhr
Werbemaßnahmen
Kliniken im Raum Freiburg locken ausländische Kundschaft. Eine Initiative wirbt weltweit für das medizinische Angebot – und mit der schönen Landschaft. Das Ziel sind zahlungskräftige Gäste.
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Vor allem an Schönheitsoperationen sind die Kunden interessiert. Foto: dpa
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Patient Ahmed Waheed (links) aus Bahrain mit Dolmetscher Ashraf Attia. Foto: Dominik Bloedner
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FREIBURG. Draußen ist es grau und kalt. Diesen deutschen Winter mag Ahmed Waheed nicht. Der 19-Jährige, der in seiner arabischen Heimat Bahrain noch in die Schule geht, erholt sich auf dem Sofa einer Freiburger Ferienwohnung von seiner Operation. Waheed ist Wunschpatient für die Macher der sogenannten Clusterinitiative Health Region Freiburg. Diese will mithilfe von EU-Geldern den Standort zahlungskräftigen Gästen aus Arabien, Russland, den USA und Asien schmackhaft machen.
Begleitet von seiner Mutter, hält sich Waheed seit fünf Wochen in Freiburg auf. Denn anderswo konnte oder wollte man ihn nicht behandeln. Klippel-Trénaunay-Weber-Syndrom lautet die wissenschaftliche Bezeichnung für seine Krankheit. Das ist eine angeborene, recht seltene Missbildung von Blut- und Lymphgefäßen an den Beinen. Der Junge war schon in Singapur, Saudi-Arabien, London, Hamburg und Berlin. Dort wurde er mit Lasertherapie behandelt, kleinere Eingriffe wurden vorgenommen. Nun sind ihm in der Freiburger Erich-Lexer-Klinik, einer Privatklinik für Ästhetische und Plastische Chirurgie und Ableger der Uniklinik, großflächig Blut- und Lymphgefäße entfernt worden, das linke Bein ist komplett bandagiert.
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“Ich bin das fünfte Mal hier, das erste Mal war vor drei Jahren”, erzählt Waheed, der eigens abgestellte ägyptische Dolmetscher Ashraf Attia übersetzt. Die Ärzte woanders hätten sich nicht getraut ihn zu operieren, es sei nun die letzte von insgesamt vier Operationen gewesen. Bald könne er wieder schwimmen, sagt er hoffnungsvoll.
Nach Freiburg ist Waheed über Hinterzarten gekommen, der gute Ruf der dortigen Földiklinik in der Lymphologie hatte bis nach Bahrain gereicht. Von dort wurde er zur Operation schließlich an die Erich-Lexer-Klinik verwiesen. Diese letzte Operation kostet 27 849,90 Euro, damit sind medizinische Leistungen, stationärer Aufenthalt und der Dolmetscherservice abgedeckt. Das Geld bezahlt das Gesundheitsministerium in Bahrain, das Waheeds Antrag zuvor positiv beschieden hat. Nicht abgedeckt sind die Kosten für die Ferienwohnung und die Begleitperson. Die Mutter des Patienten ist dabei, der Vater, ein Geschäftsmann im Bausektor, bleibt zu Hause.
Ein bisschen wie daheim ist es in der Ferienwohnung im Stadtteil Stühlinger. Auf der anderen Straßenseite beten die Muslime in ihrer Moschee, man findet schnell Anschluss. Die Mutter kauft in den orientalischen Läden um die Ecke Lebensmittel und bekocht ihren Sohn. “Arabische Patienten wohnen lieber privat als im Hotel, nicht zuletzt wegen der islamischen Speisevorschriften”, berichtet der Dolmetscher Attia. Andere ausländische Patienten, vor allem die aus Russland, bevorzugen hingegen Hotels oder das Bett in der Klinik.
“Knapp 28 000 Euro – dafür müssen wir viele Reisebusse hier nach Freiburg holen. Das entspricht sehr vielen Touristen, die dafür Postkarten und Wurst auf dem Münsterplatz kaufen”, sagt Bernd Dallmann, Geschäftsführer der Freiburg Wirtschaft Touristik und Messe (FWTM). Und weiter: “Wir wollen auch hochqualifizierten Tourismus.” Dallmann ist zugleich Vorsitzender des Vereins Health Region Freiburg. Der Verein begleitet und ergänzt die Aktivitäten der für drei Jahre vom Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung mit 195 000 Euro geförderten Clusterinitiative Health Region Freiburg. Noch einmal die gleiche Summe wird aus Eigenmitteln aufgebracht.
Bislang sind 33 Kliniken, Hotels, Thermen, Behörden, Logistikunternehmen und andere Dienstleister im Verein, der nach dem Auslaufen der EU-Förderung weiter bestehen soll. Sie zahlen pro Jahr 5000 Euro Mitgliedsbeitrag. Die Ziele: Die Wirtschaftsbereiche Gesundheit und Tourismus stärker vernetzen, die Angebote bündeln und eine Marke erschaffen. Und man will möglichst viele Patienten wie Waheed nach Freiburg und Umgebung holen.
Der Gesundheitsstandort Deutschland ist bei ausländischen Patienten im Aufwind. “German Health Care Attracts Foreign Patients” (deutsches Gesundheitswesen lockt ausländische Patienten) titelte sogar unlängst die New York Times und verwies darauf, dass sich der frühere ägyptische Präsident Husni Mubarak 2010 in Heidelberg die Gallenblase hat entfernen lassen, dass sich Nursultan Nasarbajew, Präsident von Kasachstan, letztes Jahr in Hamburg an der Prostata behandeln ließ und dass erst im Dezember der irakische Staatspräsident Dschalal Talabani nach einem Schlaganfall in die Berliner Charité gebracht worden ist. Laut dem Blatt ist die Zahl der Patienten aus den Vereinigten Arabischen Emiraten von 2000 bis 2010 um mehr als das Fünffache auf 1754 gestiegen, die der Patienten aus Saudi-Arabien hat sich im selben Zeitraum ebenfalls auf 712 verfünffacht. Viele Araber kämen auch deswegen, weil in Deutschland gemäßigtes Klima herrsche und weil es nach den Attentaten von New York vom 11. September 2001 für sie schwieriger geworden sei, ein Visum für die USA zu bekommen.
Hamburg, Berlin, München – deutsche Kliniken buhlen um zahlungskräftige Privatpatienten aus dem Ausland. In der Erich-Lexer-Klinik erfolgt inzwischen jede dritte Operation an einem Ausländer, Tendenz steigend. Patienten aus der Schweiz kommen vor allem wegen des starken Franken – da sind Operationen in Deutschland billiger als zu Hause. Russische Patienten und Patientinnen wünschen vor allem ästhetische Operationen im Gesichts- und Brustbereich, arabische Kunden wiederherstellende Operationen wie Narbenkorrekturen, sagt Klinikgeschäftsführer Martin Schmidt. In der Freiburger Uniklinik kümmert man sich bereits seit 2000 um die Akquise ausländischer Patienten.
Damals wurde die Stabsstelle International Medical Services (IMS) gegründet. Sie umwirbt seit 2004 gezielt den russischen Markt, russisch sprechende Mitarbeiterinnen wurden angestellt. 2012 hat die IMS 2400 ausländische Patienten betreut, hauptsächlich Russen. Die Zahlen steigen stetig an. Aber auch bei den arabischen Patienten. Die Aufträge häuften sich in letzter Zeit, sagt Waheeds Dolmetscher Attia – obwohl der Gesundheitsstandort Freiburg in Arabien viel weniger vermarktet werde als im russischen Raum.
Die Clusterinitiative, die sich vergangenen Sommer präsentiert und im Herbst die Arbeit aufgenommen hat, will dies ändern und auch in Arabien verstärkt die Werbetrommel rühren. Indes, einige Vereinsmitglieder sind noch skeptisch. So musste die Uniklinik von Vertretern der Lokalpolitik erst zum Mitmachen überredet werden. Und ein Klinikchef sagt: “Ich hätte es nicht erfunden. Aber sie können nicht den Falschfahrer machen, wenn so viele in die gleiche Richtung laufen.” Dallmann meint, “es wäre vermessen zu sagen, unser Tun habe schon einen Anstieg der Patientenzahlen bewirkt”. Man brauche Anlaufzeit, das Budget sei schmal, für aufwendige Werbekampagnen kein Geld vorhanden. “Das Produkt, das wir entwickeln, gibt es noch nicht. Wir haben Partner aus unterschiedlichen Branchen zusammengebracht, die bislang noch nicht kooperiert haben.”
Der Leiter der Clusterinitiative, Thilo Jakob, fügt hinzu: “Wir können uns nicht von Träumen ernähren. Wir müssen Strukturen schaffen, die Patienten generieren.” Ein Baustein soll der fünfsprachige Internetauftritt sein, der an Ostern fertig sein soll. Ende Januar hat sich die Health Region Freiburg in Dubai auf der Messe Arab Health zwischen der Uniklinik Düsseldorf und dem Herzzentrum Berlin am Stand des Landes Baden-Württemberg präsentiert. Ende März geht es zur Tourismusmesse nach Moskau.
Dazwischen liegt ein Termin vor Ort, den manche Vereinsmitglieder nicht verstehen. Die Health Region Freiburg präsentiert sich nämlich im März in Freiburg auf der Messe Fit for Life. “Man will russische Patienten und wirbt auf einer lokalen Gesundheits- und Wellnessmesse”, bemängelt ein Klinikchef. Doch Jakob sagt: “Wir wollen auch die Leute hier vor Ort mitnehmen.” Und Dallmann meint: “Binnenmarketing gehört dazu.”
Beide werben selbstbewusst mit ihrem Produkt, auf den Messen im Ausland werden Märkte beobachtet und Kontakte mit Agenturen und Patientenvermittlern geknüpft. So viel weiß man bereits: Mit den USA liege man qualitativ gleichauf, aber den Preiskampf werde man gewinnen, US-Patienten könnten gut vergleichen. “Eine Bypassoperation kostet dort 80 000 Dollar, bei uns ein Viertel davon – das ist ein Riesenunterschied”, sagt Jakob. Die Konkurrenz der noch preiswerteren Kliniken in China, Indien und Osteuropa sieht man gelassen: Die Qualität in Freiburg sei entscheidend, so Dallmann. Die deutsche Medizin und Pharmazie habe eine jahrhundertealte Tradition, Freiburg genieße einen guten Ruf, die Region sei attraktiv. Die Clusterinitiative versucht, weltweit den Schwarzwald, die Kulinarik, den Wein und das medizinische Angebot bekannter zu machen.
Ahmed Waheed kennt die Gegend inzwischen: Titisee, Schaffhausen, Konstanz, den Bodensee, Colmar, das ganze Tourismusprogramm habe er während seiner Aufenthalte gemacht – allerdings bei Sonnenschein und Wärme.
Autor: Dominik Bloedner