Meine Formel 1-Saison beginnt dieses Jahr in Malaysia. Wie sie gestern hoffentlich im Tagebuch der Kollegin Leppert gelesen haben, entschied ich mich in einem Anflug von Gutherzigkeit den Auftakt-Grand Prix in Melbourne abzutreten. Nach den Wintertests, inklusive zwei Bahrain-Wochen am Stück, war ich ganz froh, die heimische Couch für ein paar Tage länger nicht verlassen zu müssen.
Am 25. März geht es also mit dem Qatar Airways Dreamliner in Richtung Osten. Einen Flug mit Malaysia Airlines hatte ich bei meinem Reisebüro dankend abgelehnt. Erst 2 Wochen zuvor war MH370 vom Radar verschwunden. Damals waren die Behörden noch zuversichtlich, das verschollene Flugzeug – oder die Überreste davon – zu finden. Im Flughafen-Hotel warteten die Angehörigen allerdings vergeblich auf Nachrichten.
Das Thema stellt die Formel 1 an diesem Wochenende komplett in den Schatten. Die lokalen Zeitungen sind voll mit Berichten zum möglichen Absturz. Ständig werden die Suchgebiete geändert. Schiffe sollen Signale der Black Box empfangen haben. Dann wieder doch nicht. Ein ganzes Land steht unter Schock.
Pray for MH370
Mir fällt ein Malaysian Airlines Werbeplakat über der Autobahn auf. Der Slogan lautet: “May your next journey just as remarkable”. Frei übersetzt: “Möge Deine nächste Reise genauso außergewöhnlich sein.” Auch an der Rennstrecke kann man dem Thema nicht entkommen. Piloten kleben sich Sticker mit dem Schriftzug “Pray for MH370” auf die Helme. Ähnliche Solidaritätsbekundungen sind auch auf den Autos zu finden.
Autofahrten sind auf malaysischen Straßen immer gefährlich. Die lokale Bevölkerung pflegt einen sportlich, unkonventionellen Fahrstil. Für Kollege Schmidt ist der Krieg mit den Roller-Horden auf der Autobahn und den vielen schrottreifen Protons allerdings nichts Besonderes mehr. Er kommt schließlich schon zum 16. Mal zum Sepang-Rennen.
Dieses Jahr hat der Kollege trotz Hertz-Gold-Member-Status allerdings eine echte Gurke in der Mietwagenlotterie gezogen. Der komplett unförmige Toyota-Van hat bereits knapp 150.000 Kilometer auf der Uhr. Kuschelige Velour-Sitze begrüßen uns im Innenraum – genau das Richtige bei 35°C und Sauna-Luftfeuchtigkeit. Immerhin funktioniert die Klimaanlage. Leistung und Verbrauch des Motors stehen allerdings in keinem logisch zu erklärenden Verhältnis.
Mercedes-Motorenchef präsentiert Corpus Delicti
Die Motoren sind auch das Thema im Fahrerlager. Mercedes hat den Ausfallgrund von Lewis Hamilton beim ersten Rennen gefunden. Am Freitagabend sitze ich mit Motorenchef Andy Cowell am Tisch vor dem Mercedes-Pavillon. Mit etwas mürrischer Miene kramt der Techniker ein unförmiges Gummistück aus seiner Hosentasche, das entfernt an die Schutzkappen von den Lunten an Silvester-Raketen erinnert.
“Das ist die Isolation einer Zündkerze”, erklärt er mir und zwirbelt das flexible Teil zwischen den Fingern. “Hier hat der Zündfunke ein Loch in das Material gebrannt. Dadurch sprang der Funke seitlich auf den Zylinderkopf über und der Zylinder hat nicht gezündet.” Ein paar Cent koste das Teil, flucht der Brite. Trotz des Sieges von Rosberg und einer dominanten Vorstellung ist Cowell immer noch sichtlich verärgert.
Ich erzähle ihm nicht, dass ich als Journalist für jeden unplanmäßigen Ausfall dankbar bin. Wäre ja schlimm, wenn alles immer funktionieren würde. Aber erklären Sie das mal einem Ingenieur. Leider läuft an diesem Wochenende auf der Strecke alles ziemlich nach Plan. Nur das bekannt launische Malaysia-Wetter sorgt für Abwechslung. Im Qualifying gibt es Regen. Der Beginn muss um eine Dreiviertelstunde nach hinten geschoben werden.
Mit Lewis Hamilton fährt wie erwartet ein Mercedes-Pilot auf die Pole Position. Aufreger des Samstags ist die Kollision zwischen Daniil Kvyat und Fernando Alonso. Die Ferrari-Mechaniker müssen innerhalb weniger Minuten die Spurstange auswechseln, damit Alonso auch im Q3 starten kann. Eine Meisterleistung.
Am Abend will ich von Kvyat wissen, wie es zu dem Missverständnis kommen konnte. Doch der Russe will eigentlich gar nicht darüber reden: “Ich glaube nicht, dass der Unfall heute das wichtigste Thema war”, erklärt mir der damals noch 19-jährige Rookie nach seinem zweiten Formel 1-Qualifying in Oberlehrermanier.
Mercedes feiert in Malaysia ersten Doppelsieg
Am Sonntag hat sich der Regen verzogen. Dafür knallt plötzlich die Sonne mit tropischen Temperaturen vom Himmel. Mit etwas Mitleid blicke ich in der Startaufstellung auf die komplett durchgeschwitzten Grid Girls, die ohne Hitzeschutz eine Dreiviertelstunde auf dem brennenden Asphalt ausharren müssen.
An der Tribüne hängt ein handgemaltes Plakat mit der Aufschrift “Wake up Schumi!”. Auf den Tag genau 3 Monate zuvor war der Rekordchampion bei einem Skiunfall gestürzt. Seitdem hatte es keine guten Nachrichten aus dem Krankenhaus gegeben. Ich mache ein Bild und verbreite es über Twitter, wo es innerhalb kürzester Zeit fast 100 Mal geteilt wird. Das Schicksal des Weltmeisters bewegt nach wie vor die Fans.
Die Geschichte des Rennens ist schnell erzählt. Hamilton gewinnt locker von der Pole Position. Platz 2 sichert sich Nico Rosberg. Es ist der erste Mercedes-Doppelsieg der Neuzeit. Es sollte nicht der letzte in diesem Jahr bleiben. Nach dem Rennen herrscht im Silber-Lager ausgelassene Freude. Auch Andy Cowell kann mittlerweile wieder lachen. Trotz der Hitze haben die Motoren gehalten.
Für negative Schlagzeilen war an diesem Tag Williams verantwortlich. Ausgerechnet Felipe Massa wurde in seinem zweiten Rennen über Funk aufgefordert, für den Teamkollegen Platz zu machen. Im Gegensatz zu alten Ferrari-Zeiten verweigert der Brasilianer den Befehl. Verzweifelt versuchte die Teamleitung zunächst die verweigerte Stallregie zu dementieren. Später entschuldigt man sich bei Massa für den falschen Befehl.
Obwohl Geschichten und Bildergalerien relativ schnell im Kasten sind, machen wir wegen der späten Startzeit wie üblich in Malaysia erst nach Mitternacht Feierabend. Am Montag kann ich zum Glück aber ausschlafen. Der direkte Weiterflug zum nächsten Rennen in Bahrain geht erst am Mittwoch. So sind sogar noch ein paar entspannte Stündchen am Hotel-Pool drin.
Kollege Schmidt entscheidet sich dagegen für die stressige Variante. Weil er arabische Fluggesellschaften aus Prinzip meidet, muss er zunächst nach Europa zurück und von dort wieder in Richtung Osten. Als auch ich schließlich Malaysia verlasse, blicke ich aus dem Flugzeugfenster auf die vielen Malaysia Airlines-Maschinen am Flughafen von Kuala Lumpur. Noch immer fehlt jede Spur von MH370. Es gibt Wichtigeres als Formel 1.
In unserer Bildergalerie nehmen wir Sie mit hinter die Kulissen des GP Malaysia.
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