Kommentar: Notwendiger Schritt mit unabsehbaren Folgen

Saudi-Arabien beteiligt sich militärisch, Katar ist dabei, ebenso Jordanien, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate. Die Einbindung dieser fünf arabischen Staaten in die Luftangriffe gegen den “Islamischen Staat” (IS) in Syrien ist ein kluger Schachzug von US-Präsident Barack Obama: Anders als sein Vorgänger George W. Bush wappnet Obama sich damit zumindest bestmöglich gegen den in der arabischen Welt populären Vorwurf, Amerika führe Krieg gegen den Islam oder die Muslime, um eigene Macht- oder Wirtschaftsinteressen durchzusetzen.

Tatsächlich ist die Beteiligung dieser fünf sunnitisch regierten Staaten ein starkes Signal: Die dortigen Regime stellen sich damit so klar wie nie zuvor gemeinsam gegen Terrorismus und brutalste Menschenverachtung im vermeintlichen Namen des Islam. Dies ist insofern bemerkenswert, weil gerade die Golfstaaten im Ruf stehen, das Wirken dschihadistischer Gruppen im syrischen Bürgerkrieg Jahre lang bewusst geduldet oder sogar unterstützt zu haben, um Syriens Diktator Baschar al-Assad und dessen wichtigsten Verbündeten, den schiitischen Iran, zu schwächen.

Vorsichtiges Umdenken am Golf

Haben diese Staaten jetzt umgedacht? Offensichtlich ja – auch wenn es lange gedauert hat. Der Grund liegt auf der Hand: Die arabischen Staaten begreifen IS zunehmend als Gefahr für ihre eigenen verkrusteten Herrschaftssysteme. Insbesondere Saudi-Arabien, das parallel zu seiner strategischen Partnerschaft mit den USA ein zutiefst fundamentalistisches Islam-Verständnis pflegt, sieht sich durch dschihadistische Gruppen wie IS herausgefordert. Deshalb bekämpft es auf politischer Ebene auch massiv die konkurrierende Muslimbruderschaft. Die Marschrichtung ist klar: Das Regime in Saudi-Arabien will sich seine führende Rolle in der arabisch-islamischen Welt von konkurrierenden Gruppen sunnitischer Prägung ebenso wenig streitig machen lassen, wie vom schiitischen Rivalen Iran.


Rainer Sollich, Arabische Redaktion der Deutschen Welle

Die arabischen Regime gehen mit ihrer militärischen Beteiligung aber auch ein hohes innenpolitisches Risiko ein: Auch wenn die meisten Bürger in arabischen Ländern die Methoden des IS ablehnen dürften, genießen radikale islamistische Strömungen dort dennoch Symphatien. Falls die Luftangriffe zu größeren Opfern in der Zivilbevölkerung führen sollten, oder falls der bewusst von der Mitwirkung ausgeschlossene syrische Machthaber Assad entgegen der erklärten Absicht doch mittelfristig vom Anti-Terror-Kampf profitieren sollte, könnte sich in arabischen Ländern schnell gefährlicher Unmut breitmachen. Auszuschließen ist beides nicht: “Saubere” Kriege, zumal aus der Luft, lassen sich auch gegen IS nur schwerlich führen. Und die militärische Aufrüstung nicht-dschihadistischer Oppositionsgruppen in Syrien ist noch längst nicht so weit fortgeschritten, dass sie es gleichzeitig mit dem Regime und den Dschihadisten aufnehmen könnten.

Weitere Konflikte wahrscheinlich

Überhaupt sind die langfristigen Folgen dieses Einsatzes schwer abschätzbar. Werden IS und Al-Kaida-nahe Gruppen ohne Bodentruppen regulärer Armeen überhaupt zu besiegen sein? Schwer vorstellbar. Ebenso schwer vorstellbar, dass Irak und insbesondere Syrien sich nach dem anhaltenden Blutvergießen dereinst wieder in funktionierende Nationalstaaten verwandeln könnten, in denen unterschiedliche Volksgruppen fair die Macht untereinander aufteilen und friedlich zusammenleben. Hierfür fehlt einstweilen auf allen Seiten die Bereitschaft. Dafür erscheinen die Pläne einer kurdischen Staatsgründung auf syrischem, irakischem und möglicherweise sogar türkischem Gebiet heute realistischer denn je – und könnten künftig neue, ebenfalls blutige Konflikte heraufbeschwören. Im gesamten Nahen und Mittleren Osten werden derzeit die Karten neu gemischt. Das Ergebnis ist völlig offen, nur eines kann als sicher gelten: Ganz oben auf der Agenda aller beteiligten Regime und Akteure aus der Region steht allein der eigene Machterhalt.

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