(Motorsport-Total.com) – Bei einem Meeting in Bahrain hat ACO-Sportchef Vincent Beaumesnil endlich die Verantwortlichen der privaten LMP1-Teams mit den entscheidenden Personen der Sporthoheit zusammengebracht. Der Le-Mans-Veranstalter will die privaten Teams der größten Prototypenklasse schützen und ihnen eine positive Zukunft ermöglichen. Bislang stehen ByKolles und Rebellion im dunklen Schatten der Werke. Wie eine solche Situation entstehen konnte und wo mögliche Auswege zu finden sein könnten, erklärt ByKolles-Einsatzleiter Boris Bermes im Interview mit ‘Motorsport-Total.com’.
Frage: “Boris, wie bewertest du die aktuelle Situation bei den privaten LMP1-Teams in der WEC?”
Boris Bermes: “Die Situation ist schwierig – nicht erst seit gestern. Der Abstand zu den Werksteams ist definitiv zu groß, der Vorsprung auf die LMP2-Klasse zu gering. Nicht nur wir, sondern auch der ACO hat festgestellt, dass ein Teil des gültigen LMP1-Reglements für die privaten Teams nicht sonderlich gut anwendbar ist. Es braucht für uns gewisse Anpassungen, damit das sportliche Gefüge passen kann.”
“Diese gesamte Situation ist durch die Einführung des neuen LMP1-Reglements 2014 um einiges schwieriger worden. Das Regelwerk funktioniert für die Werke gut, für die Privaten nicht ganz so gut. Die Hersteller fahren in einer anderen Liga, weil sie mit einem Hybrid unterwegs sind. Hybridantrieb bedeutet: mehr als 1.200 PS und Allradantrieb. Das darf man als Wettbewerbsvorteil nicht unterschätzen. Hinzu kommt, dass wir gerade einen extrem intensiven Wettstreit von drei großen Herstellern erleben, die sich gegenseitig enorm Druck machen.”
“Es sind schließlich nicht irgendwelche Hersteller, die sich dort gerade auf höchstem Niveau begegnen. Audi hat über 15 Jahre Le-Mans-Erfahrung, Toyota bringt Kenntnisse und Strukturen aus zehn Jahren Formel 1 mit und Porsche hat mit umfangreichen Mitteln eine starke Truppe aus Leuten mit Formel-1- und LMP-Erfahrung zusammengestellt. Die Ressourcen der Werke sind in wirtschaftlicher und technischer Sicht unglaublich.”
Antrieb als wichtige Stellschraube
Frage: “In Bahrain gab es ein Meeting mit dem Thema: Wie machen wir die private LMP1-Klasse attraktiv und setzen sie sportlich in das richtige Fenster. Wer war an diesem Treffen beteiligt?”
Bermes: “Unsere Belange hat man in der WEC in den vergangenen Monaten leider nie ganz ernst genommen, aber wir sind froh über die aktuellen Entwicklungen und wir hoffen, dass der ACO zu seinem Wort steht. Die Initiative ging von dort aus. Sportchef Vincent Beaumesnil hat die Beteiligten an einen Tisch gebracht. Es waren unter anderem die Technischen Kommissare von ACO und FIA dabei, natürlich Rebellion und wir als aktuelle private Starter in der LMP1 sowie auch noch einige Interessenten, die unter entsprechend verbesserten Bedingungen mit uns in einen Wettbewerb treten möchten. Da gibt es so einige.”
“Das erste Gespräch war sehr positiv. Erstmals ist klar geworden, dass es eine gemeinsame Marschrichtung geben kann – und sehr wahrscheinlich auch bald geben wird. Der ACO hat unmissverständlich klargemacht, dass man eine Zukunft für die privaten LMP1 sieht und diese stärken möchte. Das war ein tolles Signal. Wir alle haben ähnliche Ideen, somit wird es bestimmt so sein, dass es sich in die richtige Richtung entwickeln wird. Ich hoffe, dass wir die ersten Schritte bereits im kommenden Jahr machen werden.”
Frage: “Welche Maßnahmen oder Anpassungen im Reglement könnten euch helfen, um den großen Werksteams etwas näher zu kommen?”
Bermes: “Man müsste sich zunächst einmal den Antrieb anschauen. Hier haben die Werke den größten Vorteil mit der Hybrid-Allrad-Technologie Hier spricht man über mehr als 1.200-PS-Hypridpower und über einen Allradantrieb. Zum Vergleich: Die Privaten fahren mit 650-PS-Hinterradantrieb. In diesem Bereich sollte man auch das Regelwerk bezüglich Regelung der Motorleistung überdenken. Muss dies in der privaten LMP1 tatsächlich auch über den Fuel-Flow und die Energiezuweisungen geregelt sein?”
“So etwas könnte man auch über Restriktoren machen. Das wäre nicht nur gut anwendbar, sondern zudem auch noch viel günstiger. Derzeit geben wir sehr viel Geld für die Fuel-Flow-Meter und deren Kalibrierung aus. Hinzu kommen noch teure zusätzliche Sensoren und Telemetrie zur Überwachung des Benzindurchflusses. Dieses Geld könnte man sehr gut in die Verbesserung der Fahrzeugperformance investieren.”
Werke bremsen, Private schneller machen
“Natürlich muss man gleichzeitig auch immer überlegen, wie man die Werks-LMP1 in puncto Tempo etwas im Zaum halten kann. Zum kommenden Jahr werden sie über geringere Energiezuweisungen etwas eingebremst. Dieses Defizit (drei bis vier Sekunden; Anm. d. Red.) werden die Werke aber über die ‘normale’ Entwicklung wieder deutlich reduzieren. Daher muss man schauen, wie man die privaten LMP1-Autos schneller machen kann.”
“Wir müssten ungefähr dorthin kommen, wo wir schon mal waren, als wir unsere ersten Einsätze als Team in Le Mans hatten. 2009 war zum Beispiel der beste private LMP1-Wagen im Qualifying in Le Mans nur fünf Sekunden hinter der Polezeit. In diesem Jahr war der schnellste Private satte zehn Sekunden weg. Wir sollten möglichst wieder in den Bereich von früher kommen. Dann hätten wir auf den kürzeren Rennstrecken im WEC-Kalender einen Abstand von zwei bis drei Sekunden pro Runde – das würde passen.”
“Einige Beobachter werden vielleicht meinen, dass wir im Vergleich so langsam sind, weil wir das Geschäft nicht so professionell betreiben. Dem muss ich aber entschieden widersprechen: Wir geben auf Grundlage unserer Möglichkeiten und des gültigen Reglements alles – das gilt für Rebellion ganz genauso. Wir sind immer am Limit, wodurch es natürlich auch manchmal Probleme mit der Standfestigkeit geben kann. Unsere Möglichkeiten sind aber natürlich viel überschaubarer als jene der Werke, wo in den Windkanälen und in den Hallen mit den Prüfständen kaum noch das Licht ausgeht.”
Hybridsystem auch für die privaten LMP1-Teams
Frage: “Wie stellt ihr euch Anpassungen im Reglement für die privaten LMP1-Teams vor?”
Bermes: “Neben den Möglichkeiten im Bereich Antrieb sehe ich verschiedene andere Stellschrauben. Zum Beispiel im Bereich Aerodynamik. Weil die Werke in allen Bereichen ans Limit gehen, gibt es aufwändige Deflection-Tests. Diese Dinge sind bei uns eigentlich nicht notwendig. Wir haben nicht die Möglichkeit, uns so extrem an die Limits des Reglements zu tasten, können uns gewisse Materialien gar nicht leisten. Es kostet viel Geld, entsprechende Tests umzusetzen und Einrichtungen zu schaffen.”
“Generell denke ich, wäre es ein vernünftiger Ansatz, dass neue Regeln zunächst nur für die Werks-LMP1 eingesetzt werden. Die Hersteller sollten die neuen Vorgaben ausloten, ans Limit treiben und schauen, ob die Regularien sinnvoll und für Private überhaupt umsetzbar sind. Wenn etwas nicht funktioniert und kurzfristig wieder angepasst wird, dann können die Werke viel schneller und konsequenter reagieren als wir. Außerdem könnten wir erst einmal Kosten sparen. Wenn 2018 neue Monocoques kommen, dann wäre es nicht falsch, uns eine Übergangszeit einzuräumen, um zu schauen, wie es sich bewährt.”