Saudischer Richter spielt mit schiitischem Feuer

Der schiitische Geistliche al-Nimr wurde in Saudi-Arabien zum Tode verurteilt. Eine Berufung ist möglich, die Hinrichtung unwahrscheinlich. Dennoch kam es zu Protesten

Riad/Wien – Ein saudi-arabisches Gericht hat am Mittwoch den schiitischen Kleriker Nimr Baqir al-Nimr zum Tod verurteilt: Mit Protesten der Schiiten in den arabischen Golfstaaten darf gerechnet werden, in Bahrain gingen am Mittwochabend bereits Demonstranten auf die Straße. Bahrain hat eine schiitische Mehrheitsbevölkerung, die von einem sunnitischen Königshaus regiert wird. Die schiitische Minderheit in Saudi-Arabien wird auf bis zu dreißig Prozent geschätzt – offizielle Angaben sind niedriger -, sie lebt in den nordöstlichen Landesteilen und sitzt somit quasi auf den saudi-arabischen Erdölvorkommen.

Die Nachricht vom Todesurteil wurde vom Bruder des Verurteilten per Twitter verbreitet, Muhammad al-Nimr, dessen Sohn Ali bereits Ende Mai ein Todesurteil ausfasste. Er war zur Zeit des ihm vorgeworfenen Delikts und seiner Verhaftung minderjährig, Amnesty International hatte gegen das Urteil protestiert. Sowohl Nimr als auch sein Neffe sollen in der Haft gefoltert worden sein.

Eine Berufung ist möglich so wie im Falle einer Bestätigung des Urteils eine Begnadigung durch den König. Diplomaten gingen am Donnerstag nicht davon aus, dass Nimr, der seit Jahren der Freitagsprediger in der schitiischen Stadt al-Awamiya ist und nach einigen Angaben den Titel Ayatollah trägt, hingerichtet wird. Die Gefahren wären für das saudische Regime groß. In den Schiitengebieten rumort es immer wieder – für seine Rolle dabei wurde Nimr ja verurteilt. Es wird ihm Verhetzung vorgeworfen. Einer Empfehlung des Anklägers auf das Urteil “Kreuzigung” – dabei wird die enthauptete Leiche zur Schau gestellt – folgte der Richter aber nicht.

Ikonografie des Leidens

Nimr al-Nimr ist seit den Unruhen, die 2011 im Gefolge des Arabischen Frühlings in den saudi-arabischen Schiitengebieten ausbrachen, der bekannteste schiitische Kleriker des Landes. Er hatte schon zuvor zu Protesten gegen die – real existierende – Diskriminierung von Schiiten in Saudi-Arabien aufgerufen und 2009 mit Sezession gedroht, sollte Saudi-Arabien “den Schiiten nicht ihre Würde zurückgeben”. Schon zuvor war er mehrmals verhaftet worden. Bei den Demonstrationen 2011 rief er jedoch ausdrücklich zur Gewaltlosigkeit auf. Bei seiner Verhaftung 2012 wurde er verletzt – Bilder des mit einem blutbefleckten weißen Tuch bedeckten Scheichs auf einer Autorückbank liegend wurden verbreitet und bekamen unter Schiiten ikonografischen Stellenwert. In der Haft trat er in den Hungerstreik.

Man kann Nimr durchaus als “radikal” bezeichnen, seine Gewaltlosigkeit macht ihn für die Behörden nur noch gefährlicher. In einem BBC-Interview sagte er, dass “Märtyrertum” die stärkste Waffe sei. Das “Brüllen der Worte” sei “stärker als Schwerter”.

Saudi-Arabien hat sich in den vergangenen Jahren erstmals bemüht, mit den eigenen Schiiten in einen Dialog zu treten. Offizielle Beteuerungen im wahhabitischen Königreich, dass Schiiten “auch Muslime” seien, werden jedoch immer wieder konterkariert von den Aussagen sunnitischer Geistlicher, die die Schia mit ihren Imamen als polytheistische Verirrung abtun.

Verschärfung durch Jemen

Dazu kommt das politische Konkurrenzverhältnis zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Auch da gibt es gegenläufige Bewegungen: einerseits zuletzt erste Gesprächsversuche zwischen Riad und Teheran und die gemeinsame Angst vor dem “Islamischen Staat”, aber andererseits die bleibende Spaltung in politischen Fragen Syrien, den Libanon und den Irak betreffend. Die Lage wird aktuell verschärft durch den militärischen und politischen Vormarsch der schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen. Sie werden von Saudi-Arabien als Produkt der Einflussnahme des Iran auf der Arabischen Halbinsel gesehen, genauso wie die schiitischen Proteste in Bahrain, die Saudi-Arabien im März 2011 mit der Entsendung von Truppen niederschlagen half.

Ayatollah Nimr Baqir al-Nimr, der bekannteste schiitische Kleriker Saudi-Arabiens, hat auch in Bahrain viele Anhänger. Als das Todesurteil bekannt wurde, gingen Demonstranten in Manama auf die Straße. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 17.10.2014)

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