Schmidt: „Die arabische Welt muss man verstehen“

Innsbruck – Als Co-Trainer Meister mit Al Wahda Abu Dhabi, danach im Nationalteam Bahrains – Klaus Schmidt sammelte in den Jahren 2010 und 2011 unter Cheftrainer Josef Hickersberger nicht nur Erfolge, sondern auch viel Erfahrung. Der TT erzählte der Steirer davon.

Im Zuge der Handball-WM in Katar geriet das Sportsystem des Landes in die Kritik. Wie empfanden Sie den Erfolgslauf der eingekauften Legionärstruppe?

Schmidt: Ich habe das mitverfolgt, aber diese Regeln haben nicht die Araber aufgestellt. Selbst wir als Handball-Nation konnten seinerzeit mit den Damen von Hypo Südstadt den Europacup nur gewinnen, weil wir Spielerinnen einbürgerten.

Werden wir bei der Fußball-WM 2022 in Katar das Gleiche erleben?

Schmidt: Das wird jedenfalls spannend. Denn mit der aktuellen Nationalmannschaft (Platz 92 in der Weltrangliste, Anm.) gewinnt man dort nichts. Aber wer weiß, wie der Weltverband reagiert, wenn eine ähnliche Einkaufspolitik stattfindet?

Wie erlebten Sie in Ihrer zweijährigen Tätigkeit als Co-Trainer (Abu Dhabi, Bahrain, Anm.) das Leben der Fachkräfte in arabischen Ländern?

Schmidt: Im Restaurant sitzt hier der Banker aus England, dort der Ingenieur aus Deutschland. Der eine ist schon zehn Jahre vor Ort, der andere fünf oder acht. Das Familienleben sieht für diese Gastarbeiter nicht so gut aus, viele sind geschieden.

Ein hohes Risiko, das die hochbezahlte Fachkraft also auch privat eingeht.

Schmidt: Wie wichtig dir deine Familie ist, merkst du, wenn du alleine im Hotel sitzt und auf Skype deine Kinder erreichen willst.

Wie geht ein Familienmensch wie Sie mit Distanz (zwei Töchter, Anm.) um?

Schmidt: Ich war zwei Jahre im arabischen Raum, das geht noch. Für die Kinder ist es auch ein Riesenerlebnis, einmal dort gewesen zu sein. Aber auf Dauer schafft das nicht jeder. Du gehst ein hohes Risiko ein!

War es ein Kulturschock, als Sie in Abu Dhabi ankamen?

Schmidt: Ich wusste zunächst nicht genau, wo die Stadt liegt. Dann war ich dort: Bei mir in der Steiermark ist alles grün, der Ort hat 1000 Einwohner. Dort lebte ich im 22. Stock, blickte auf ein Meer an Klimaanlagen und die meistbefahrene Straße der Stadt.

Wie verbringt man als Europäer die Zeit? Die sozialen Kontakte werden sich wohl zunächst in Grenzen gehalten haben?

Schmidt: Du baust zu den Einheimischen keine Beziehung auf. Ich habe da normal kein Problem, wurde aber in meinen zwei Jahren in keine arabische Wohnung eingeladen. Die Leute sind ein wenig unnahbar.

Wie verbringt man seine Zeit?

Schmidt: Ski fahren kann man nicht, Radfahren ist nicht ungefährlich, Golfspielen beherrsche ich nicht. Ich trainierte jeden Tag 2,5 Stunden im Fitnesscenter. Meine Frau meinte bei einem Heimatbesuch, ich sei so gut beisammen wie noch nie.

Ihr Chef Josef Hickersberger spielte Golf …

Schmidt: Für ihn war es das Paradies, ich hätte wohl auch anfangen sollen. Aber Hicke meinte: In drei Monaten sind wir eh wieder zu Hause. In der Liga dort wurden in einer Saison 14 Trainer ausgetauscht – bei zwölf Vereinen.

Aber Sie hatten Erfolg und überstanden die Saison.

Schmidt: Wir holten erstmals nach sieben Jahren wieder den Titel das war so nicht vorherzusehen.

Sie wechselten nach Saisonende dennoch nach Bahrain, verlängert wurde nicht.

Schmidt: Man wollte das kurz bevor ich abflog, davor hatte man sich nicht bemüht.

Woran liegt das? Mangelnde Wertschätzung dem Gast gegenüber?

Schmidt: Du bist in einer mittleren Führungsebene: Chef ist der Sportdirektor oder der Scheich, die ziehen an den Strippen, du bist austauschbar. Man lässt dich die Wertschätzung nicht spüren, du bist halt gut bezahlt und genießt alle Annehmlichkeiten. Wenn man dich aber nicht mehr braucht, bist du weg. Dann kann dir sogar passieren, dass dir das der Zeugwart mitteilt und die Papiere hinlegt.

Passt die Bezahlung?

Schmidt: Bei mir schon, andere Vereine zahlen nicht pünktlich, aber das ist auch Teil der arabischen Mentalität. Als ich meinen Vertrag unterschrieb, musste ich beim Termin 2,5 Stunden auf den Sportdirektor warten.

Man muss sich anpassen.

Schmidt: Nur so kommst du durch. Wäre ich alleine unten gewesen, hätte mich Josef Hickersberger nicht geführt, wäre ich nach vier Tagen rausgeschmissen worden. Hicke meinte oft: Nimm dich da raus, langsam …

Erinnern Sie sich an ein Beispiel?

Schmidt: Spiele sind oft so angesetzt worden, dass in der Pause gebetet wurde. Als wir einmal wegen der asiatischen Champions League in Saudi-Arabien gastierten, wollten die Spieler am Tag vor dem Match eine Umra (Pilgerfahrt nach Mekka, Anm.) machen. Sie kamen um zwei Uhr morgens zurück, aßen noch Lamm – und am nächsten Tag fingen wir vier Tore ein. Das war so zu erwarten (lacht). Wenn du ein Training aufgrund des Gebets falsch ansetzt, bist du allein am Platz. Die arabische Welt musst du verstehen – oder gehen.

Wird Katar in den Medien falsch dargestellt?

Schmidt: In vielen Städten dieser Region ist man vor 60 Jahren noch mit dem Kamel geritten: im Sommer zum Perlenfischen ans Meer, im Winter als Nomade durch die Wüste. Auf einmal findet man dort Öl, und das Leben ändert sich nicht nur von null auf 100, sondern von null auf 10.000. Das ist so explodiert, dass das für viele Leute zu schnell gegangen ist. Die Großväter der Spieler waren Nomaden, ein Spieler hatte auf einmal sieben Mercedes und vier Range Rover in der Garage.

Wie empfinden Sie die Diskussion über Menschenrechtsverletzungen?

Schmidt: Irgendwer muss das Land aufbauen – manuell. Man holte das Knowhow aus Europa, dazu Inder, Pakistani und Bangladescher. Die arbeiten dort in einem Rad: Der eine Bus mit Arbeitern kommt, der andere verlässt eine der unzähligen Baustellen. Die Leute verdienen 300 Euro im Monat und wohnen in Baracken, nach drei Jahren werden sie wieder heimgeschickt.

Ist das menschenwürdig?

Schmidt: Man muss es so sehen: Zu Hause arbeiten sie wahrscheinlich für 30 Euro im Monat, auch wenn sie im arabischen Raum unter erschwerten Bedingungen arbeiten.

Mit welchen Gedanken blicken Sie zurück?

Schmidt: Mit positiven! Ich habe einen völlig anderen Kulturkreis kennen gelernt und wurde mit einer Glaubensrichtung konfrontiert, die bei uns nicht richtig verstanden wird. Ich weiß, worum es im Islam geht, das kann mir nie wer nehmen. Mir begegnete man mit größtem Respekt, man schimpfte nie mit mir und wurde nie laut. Die Zeit prägte auch mich als Trainer und Menschen.

Das Gespräch führte Florian Madl

This entry was posted in DE and tagged by News4Me. Bookmark the permalink.

About News4Me

Globe-informer on Argentinian, Bahraini, Bavarian, Bosnian, Briton, Cantonese, Catalan, Chilean, Congolese, Croat, Ethiopian, Finnish, Flemish, German, Hungarian, Icelandic, Indian, Irish, Israeli, Jordanian, Javanese, Kiwi, Kurd, Kurdish, Malawian, Malay, Malaysian, Mauritian, Mongolian, Mozambican, Nepali, Nigerian, Paki, Palestinian, Papuan, Senegalese, Sicilian, Singaporean, Slovenian, South African, Syrian, Tanzanian, Texan, Tibetan, Ukrainian, Valencian, Venetian, and Venezuelan news

Leave a Reply