“Egal, wir wissen, dass wir es besser können, also verlegen wir den Saisonstart für uns jetzt nach Barcelona und haken Bahrain einfach ab.” Nicht zum ersten Mal bringt Rene Binder seine Sehnsucht zum Ausdruck, das bisher Dagewesene einfach auszublenden und neu zu beginnen. Eine „Reset“-Taste wünscht er sich in aller Regelmäßigkeit – und ist damit nicht allein. Viele Menschen wünschen sich den Neubeginn, mit einer „weißen Weste“, quasi „unverdorben“, ohne die Fehler aus der Vergangenheit, voller Elan und Zuversicht…
Dass dem 23-jährigen Innsbrucker auch der Auftakt zu seiner bereits dritten vollen GP2-Saison, vor zwei Wochen in Bahrain, völlig misslungen ist, wollte er, so scheint es, selbst nicht so recht glauben – schnell wurden gleich zwei Ursachen ausgemacht: „Erstens der temperaturbedingte Leistungssprung vom Freien Training zum Qualifying, mit dem ich leider überhaupt nicht zurechtgekommen bin, und zweitens der schwer kontrollierbare Reifenverschleiß. Diese Strecke ändert sich durch die Hitze, den Sand und den Wind quasi permanent und ist dadurch auch abstimmungstechnisch ziemlich schwierig.“
Blenden wir ein Jahr zurück: Da wurde der Saisonauftakt nach den Plätzen acht und neun beim Saisonauftakt als „voller Erfolg“ verkauft, nachdem man zuvor erklärt hatte, in der zweiten vollen GP2-Saison strebe man Top 3-Platzierungen an. Tragisch ist, dass es bei den drei errungenen Meisterschaftspunkten aus Bahrain blieb: Rene Binder schloss das Vorjahr damit auf Gesamtrang 25 ab.
Einmal mehr wurde für 2015 das Team gewechselt: Trident gilt als Profi-Mannschaft, der Teamkollege, Raffaele Marciello, gilt als italienische Zukunftshoffnung: 2012 wurde er in der Formel 3-Europameisterschaft Vizemeister, 2013 kürte er sich zum Champion. Im Vorjahr debütierte er in der GP2 und wurde Gesamt-Achter. Heuer darf Marciello bereits bei Sauber in den ersten freien Trainingseinheiten Formel 1-Luft schnuppern, in der GP2 will er den Durchbruch erreichen, schonungslos stellt er fest: „Drei Jahre GP2 sind zu viel. Man muss schon eine gewisse Zeit in der GP2 sein, um sich für die Formel 1 vorzubereiten, aber man darf da auch nicht zu lange hängenbleiben. Deshalb muss ich jetzt Punkte holen, es geht um die Wurst.“
Für Rene Binder der optimale Teamkollege – wie er zu Saisonbeginn verlautbarte: „Die Zusammenarbeit im Team funktioniert bislang perfekt und mit Raffaele Marciello habe ich den idealen Teamkollegen neben mir – einen, der nicht nur extrem schnell, sondern auch ein echter Teamplayer ist. Ich hoffe jedenfalls, dass ich in dieser Konstellation auch meine Grenzbereiche weiter nach oben verschieben und die entsprechenden Ergebnisse abliefern kann.“
Kurzes Aufbäumen
Bei der Testgeneralprobe, ebenfalls in Bahrain, sah es kurzzeitig so aus, als könnte sich Binder tatsächlich wie Phönix aus der Asche erheben: Am ersten Tag lagen Marciello und Binder auf den Plätzen drei und vier, Binder war nur unwesentlich langsamer. Schon am zweiten Tag drehte sich das Bild: Marciello landete auf Platz drei, Binder war sechs Zehntelsekunden langsamer und landete damit nur auf Platz 20.
Wenn man nun den misslungenen Saisonauftakt 2015 wie gewünscht ausblendet, landen wir in der Gegenwart, in Barcelona: Im freien Training landete Marciello mit einer Sekunde Rückstand auf Platz neun, Binder kam mit 1,8 Sekunden Rückstand nicht über Platz 20 hinaus. Im alles entscheidenden Qualifying steigerte sich Marciello auf Platz sieben, während Binder mit 2,1 Sekunden Rückstand nur den 24. Startplatz erringen konnte. Nur zwei Fahrer waren noch langsamer, einer von ihnen konnte keine gültige Rundenzeit markieren. Dabei konnte Binder zehn Runden absolvieren, Marciello drehte neun, der Pole-Setter Stoffel Vandoorne ebenfalls neun Runden.
Damit drohte das Rennwochenende des Rene Binder erneut zu scheitern, tatsächlich konnte er abermals keinen Meisterschaftspunkt an Land ziehen, im Sprint hatte er einen heftigen Unfall – einmal mehr wird der unscheinbare, aber sympathische Tiroler über die Ursachen grübeln und gewiss einige Lösungen herausarbeiten können. Daran gibt es nichts auszusetzen – schließlich kann nur die Selbstanalyse zu Fortschritten führen. Wenngleich dabei stets die Gefahr droht, sich etwas vorzumachen. Nur: Das können wir ganz und gar nicht abschätzen – das wird wohl nur Rene selbst beantworten können…
Zweifel
Natürlich: Wir, Fans und Journalisten, sitzen nicht im Cockpit und wären wohl allesamt um ein Vielfaches langsamer als Rene Binder. Dennoch muss es erlaubt sein, seiner Enttäuschung Ausdruck zu verleihen oder Zweifel zu äußern…
Als wir in der Mitte des Vorjahres nach einem erneut punktelosen Rennwochenende uns erlaubten, zu schreiben: „Im Vorjahr war es das (kleine Lazarus-, Anmk.) Team – doch auch beim erfolgreichen Arden-Rennstall enttäuscht der nunmehrige GP2-Routinier Rene Binder an jedem Wochenende“ wurden wir vom Management des Tirolers mit einer bitterbösen Mail bedacht, mit der dem Management zu kritischen Berichterstattung würde man „Rekordzugriffe generieren“, hat man vermutet – nur haben sich schon damals immer weniger Fans für Rene Binder interessiert. Vielleicht auch deshalb, weil man die vielen Erklärungen, warum es wieder nicht funktioniert hat, weil man die Überdosis an „Schönwetter-PR“ einfach nicht mehr wahrnehmen wollte?
Und – wie wir dem erbosten Management schon damals mitgeteilt haben – weil man nur dann enttäuscht ist, wenn man auch etwas erwartet hat. Und diese Erwartungen wurden schließlich von genau diesem Management geschürt. Es hat nicht geheißen: „Wir wollen ein paar Jahre im Mittelfeld der GP2 fahren und unseren Spaß haben!“ Es hat geheißen: „Wir wollen über Erfolge in der GP2 in die Formel 1!“
Wir, als Motorsportplattform, würden uns nichts lieber wünschen als einen erfolgreichen GP2-Piloten, einen österreichischen Formel 1-Piloten. Weil es die Rennen spannender macht, weil wir gerne einem Landsmann die Daumen drücken – und ganz egoistisch gesagt auch deshalb, weil ein Österreicher in einem F1-Cockpit die Zugriffszahlen verdoppelt.
Nur besteht zwischen Presseaussendungen (PR) und Journalismus der Unterschied, dass das eine für den Sportler respektive in seinem Auftrag geschrieben wird, das andere jedoch für den Leser. Und der wiederum möchte keine Schönwetter-PR, sondern eine realistische Einschätzung der Lage.
Sicher: Die Hoffnung stirbt zuletzt – wir wünschen Rene Binder nur das Beste. Doch langsam scheint es, als müsste man die Hoffnung, dass es Rene Binder, trotz offenbar vorhandenem Budget, in die Formel 1 schaffen wird, endgültig begraben. Selbst die im Vorjahr anvisierten Top 3-Plätze in der GP2 scheinen in weite Ferne gerückt…
Ist es gehässig, diese Zweifel zum Ausdruck zu bringen? Ist es gehässig, etwas niederzuschreiben, was viele Fans und Experten denken? Ist es gehässig, sich Gedanken über Rene Binder zu machen? Er steht schließlich in der Öffentlichkeit und möchte in dieser auch wahrgenommen werden.
Zu schneller Aufstieg?
Nun: Rene Binder ist vor allem eines – ein Mensch mit Gefühlen und einer Seele. Mit keinem Wort haben wir jemals an seinen grundsätzlichen rennfahrerischen Qualitäten gezweifelt. Zumal er im deutschen Formel 3-Cup gute Leistungen gezeigt hat. Vielleicht war der Sprung in die GP2 doch zu groß? Vielleicht liegen die Fehler eben nicht nur beim Piloten Rene Binder sondern vielmehr auch in der Karriereplanung?
Wir erinnern uns gut, als wir mit Willi Weber, immerhin einst Manager von Michael Schumacher, über Andreas Zuber gesprochen haben – auch er war im Vorhof der Formel 1, sogar mit Siegen am Konto. Weber meinte damals schlicht, dass der Steirer in der GP2 zu oft das Team gewechselt habe. Vielleicht also hat das „Team-Hopping“ auch Binder nicht unbedingt geholfen?
Und vielleicht sollte man jetzt, wenn es in dieser Saison genauso weitergehen sollte wie in den Vorjahren, Rene zuliebe eine andere Renn-Kategorie auswählen? Er wäre nicht der erste, der dann die Freude am Sport wiederfindet und in einer anderen Rennserie große oder auch kleinere Erfolge feiert.
Wir, die Beobachter dieses Sports, freuen uns über beherzte Fahrten der Pilotinnen und Piloten – nur wenn der Sportler Freude an seinem Job empfindet, wird er/sie dazu in der Lage sein.
Das ist ein Kommentar und dieser spiegelt lediglich die persönliche Meinung des Autors wieder.