Nick Heidfeld: "Hamilton ist fahrerisch der stärkste Pilot" – T

Nick Heidfeld im Interview

“Hamilton ist der stärkste Pilot der Formel 1”

12.03.2014, 13:16 Uhr
| Patrick Rutishauser, T-Online.de

Nick Heidfeld: Hamilton ist fahrerisch der stärkste Pilot. Nick Heidfeld ist nun bei der Langstrecken-WM am Steuer. (Quelle: dpa)


Nick Heidfeld ist nun bei der Langstrecken-WM am Steuer. (Quelle: dpa)

Die Formel-1-Saison 2014 steht vor der Tür – und mit ihr treten die umfassendsten Regelumwälzungen in der Geschichte der Königsklasse in Kraft. Das stellt die Teams vor gewaltige Herausforderungen und wirft viele Fragen auf.

Die Testfahrten in Jerez und Bahrain haben bereits angedeutet, dass es einen erneuten Durchmarsch von Red Bull und insbesondere Sebastian Vettel nicht geben wird. Der RB10 lahmte gewaltig und befand sich häufiger in der Garage als auf der Piste. T-Online.de hat mit dem ehemaligen Formel-1-Piloten Nick Heidfeld gesprochen, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Außerdem erzählt er, warum Vettel nicht der Topfavorit auf den WM-Titel ist, wer für ihn der talentierteste und wer der kompletteste Fahrer ist und wem er ganz persönlich die Daumen drückt.

Herr Heidfeld, die Regeländerungen für die neue Saison sind enorm.
Ja, ich finde das spannend. Die Änderungen bieten sowohl Überraschungen als auch Chancen.

Inwiefern?
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich die Hackordnung in dieser Saison ändert. Man hat das vor einigen Jahren beim Brawn-Team gesehen. Durch die Erfindung des Doppel-Diffusors hat der Rennstall den Titel geholt. Auch Adrian Newey hat bei seinen überragenden Red Bulls das Reglement ausgenutzt und immer tief in die Trickkiste gegriffen.

Stimmen Sie allen Neuerungen voll zu?
Es gibt ein paar Dinge, die mir persönlich nicht gefallen. Dazu gehört beispielsweise die doppelte Punktevergabe im letzten Rennen. Sowas gehört in Fernsehshows, wo man die Spannung zum Schluss hochtreiben will. In der Formel 1 ist das aus meiner Sicht jedoch Blödsinn. Mir gefällt auch nicht, dass die Autos immer schwerer werden. Zu meiner Zeit waren wir bei 600 Kilogramm, nun sind wir bald schon bei 700.

Was bedeutet das genau?
Durch ein höheres Gewicht werden die Autos langsamer und behäbiger. 100 Kilogramm mehr  bedeuten etwa drei bis vier Sekunden Zeitverlust pro Runde. Außerdem widerspricht es dem Zeitgeist. Bei den Straßenautos verläuft die Entwicklung genau in die andere Richtung.

Wie bemerkt der Fahrer die Regeländerungen?
Der Fahrer muss gerade jetzt am Anfang viel mehr in das Auto hineinhorchen und Feedback geben.

Hat er auch mehr zu tun, weil das Energierückgewinnungssystem nun länger genutzt werden darf?
Zu Beginn schon, aber eigentlich soll das künftig automatisch funktionieren.

Einige Experten rechnen mit einer extrem hohen Ausfallquote im ersten Rennen. Sie auch?
Das ist schwierig vorherzusagen. Aber in der Formel 1 schafft man es in der Regel, sich bis zum ersten Rennen so zu sortieren, dass die Autos ins Ziel kommen. Das könnte dann aber auf Kosten der Performance gehen. Wenn man in Melbourne ins Ziel kommt, wird man wohl trotzdem recht weit vorne sein.

Hat Red Bull wirklich große Probleme oder wird das zu hochgekocht?
Ich glaube schon, dass die größere Probleme haben. Das haben die Tests ja auch gezeigt. Das Auto ist typisch Newey – also aerodynamisch außergewöhnlich gut. Speziell in den schnellen Kurven sieht der Red Bull gut aus.

Woher kommen dann die Probleme?
Bisher war die Aerodynamik maßgeblich für die Performance der Autos verantwortlich. Durch die Regeländerungen werden erstmals seit langer Zeit die Motoren wieder eine übergeordnete Rolle spielen. Man hat bereits gesehen, dass Mercedes getriebene Systeme vorn sind, dahinter Ferrari und dann Renault. Mercedes ist weiter als die anderen, aber nicht vor Problemen gefeit. Es wurde auch deutlich, dass Red Bull Kühlprobleme hat. Es würde mich wundern, wenn sie es schaffen, das alles umzudrehen.

Wer ist für Sie der Favorit auf den Titel?
Mercedes ist ganz klar der Favorit im Moment. Williams hat auch recht stark ausgesehen bei den Tests, aber  Mercedes war am stärksten. Das Team hat sich in den letzten Jahren gut nach vorne entwickelt. Es wird nun alles mobilisieren.

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McLaren, Lotus, Ferrari, Mercedes oder Red Bull: Wer hat die Nase vorne?
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Setzen sie eher auf Hamilton oder eher auf Rosberg?
Das wird extrem spannend. Man kann nicht pauschal sagen, das ein Fahrer der beste ist. Das kommt auch immer auf das Auto, speziell die Reifen, die Eingewöhnungszeit und viele andere Dinge an. Lewis Hamilton ist vom fahrerischen Talent der stärkste Pilot in der Formel 1. Aber Talent ist nicht alles. Setup, Taktik, Politik und möglichst fehlerfrei zu agieren sind ebenfalls ganz entscheidend. In diesen Dingen steigert sich Lewis aber mehr und mehr und macht weniger Fehler. Nico hat mich in der letzten Saison positiv überrascht, aber ich vermute, dass Hamilton die Nase vorn haben wird.

Wie sehen Sie das bei Alonso und Räikkönen?
Das ist schwieriger einzuschätzen. Alonso ist der kompletteste Fahrer der Formel 1 und er hat bereits eine Mannschaft um sich versammelt und die Kontrolle im Team. Mit Räikkönen bin ich bei Sauber zusammengefahren und kenne ihn daher. Das wird auf jeden Fall ein ganz spannendes Duell. Meine Tendenz ist, dass Alonso sich durchsetzt.

Kann Ferrari jetzt, wo Red Bull Probleme hat, endlich den Titel holen?
Wie gut Ferrari genau ist, ist sehr spekulativ. All die Jahre war Red Bull besser. Nun, glaube ich, stiehlt ihnen Mercedes die Show. Mercedes ist näher an den 100 Prozent als Ferrari. Allerdings möchte ich betonen, dass die Strecke in Melbourne kein guter Gradmesser ist. Das Ergebnis dort sollte man nicht überbewerten. Einen Trend kann man erst nach den ersten drei oder vier Rennen erkennen.

Können Nico Hülkenberg oder Adrian Sutil etwas reißen?
Hülkenberg hat deshalb Glück, dass er Mercedes motorisiert ist. Deshalb hat er einen Vorteil gegenüber den anderen. Sutil sehe ich dahinter, weil die Antriebseinheit von Ferrari kommt.

Aerodynamik: Die für die Zuschauer auffälligste Veränderung ist die tiefe Nase der neuen Boliden. Die Maximalhöhe der Fahrzeugspitze wird von 55 auf 18,5 Zentimeter reduziert. Einen Knick in der Nase darf es aber nicht mehr geben. Dadurch kommt es zu stark abfallenden, optisch ebenfalls gewöhnungsbedürftigen Konstruktionen. Die Frontflügel dürfen um 15 Zentimeter breiter sein (1,65 statt 1,50 Meter). (Quelle: xpb) Motor: Ein ebenfalls gewaltiger Einschnitt ist Rückkehr der Turbomotoren. Die 2,4-Liter-V8-Aggregate Geschichte. Dafür werden die Autos nun von 1,6-Liter-V6-Turbomotoren angetrieben. Die neuen Motoren sind um einiges schwerer, bringen zusammen mit der Batterie etwa 145 Kilogramm auf die Waage. Das Mindestgewicht der bisherigen Motoren beträgt dagegen nur 95 Kilo. Die Gewichtsverlagerung der Autos verändert sich enorm. (Quelle: imago/PanoramiC) Gewicht: Das Auto muss mit Fahrer nun mindestens 690 Kilogramm wiegen. Bislang waren es 642 Kilogramm. (Quelle: imago/HochZwei) Sprit: Für eine Renndistanz stehen 2014 maximal 100 Kilogramm Benzin zur Verfügung. Das gilt vom Start bis zur Zielflagge und wird durch den Durchflussmengenbegrenzer des Weltverbands FIA kontrolliert. Die Piloten rechnen damit, absichtlich langsamer fahren zu müssen, um das Ziel zu erreichen. Denn bislang hatten die Boliden bis zu 160 Kilogramm an Bord. (Quelle: imago/Future Image) Strafen: Ab der kommenden Saison gibt es eine Sünderkartei à la Flensburg. Bei Vergehen gegen die Straßenverkehrsordnung der Formel 1 drohen bis zu drei Punkte. Kommt ein Fahrer in den jeweils zurückliegenden zwölf Monaten auf mehr als zwölf Punkte, darf er beim nächsten Rennen nicht starten. (Quelle: imago/Crash Media Group) Startnummern: Die Fahrer werden nicht mehr nach der Reihenfolge des Vorjahres durchnummeriert. Jeder Pilot darf sich eine Zahl aussuchen, die er die ganze Karriere über behält (hier: Lewis Hamilton mit der 44). Nur der Weltmeister trägt weiterhin die Nummer eins. (Quelle: xpb) KERS: Bislang durften die Wagen 82 PS für 6,7 Sekunden durch das Energie-Rückgewinnungssystem KERS (Kinetic Energy Recovery System) extra einsetzen. Ab jetzt kommt noch das sogenannte ERS zum Einsatz. Während bei KERS nur die Energie genutzt wurde, die beim Bremsen erzeugt wurde, zieht das neue System zusätzlich Energie aus der Abwärme vom Motor über den Turbolader. Beide Systeme laden zusammen die Batterien auf. Den Piloten stehen so zusätzliche 160 PS für 33 Sekunden zur Verfügung. (Quelle: imago/Crash Media Group) Tests: Üben während der Saison ist wieder erlaubt. Jedem Rennstall stehen viermal zwei Tage zur Verfügung. Ort und Zeitpunkt sind relativ festgelegt: Am Dienstag und Mittwoch nach Rennen in Europa. (Quelle: Reuters) Punkte: Nicht mehr alle Rennen sind gleich viel wert. Beim letzten Grand Prix gibt es die doppelte Punktzahl. Der Sieger bekommt also 50 anstatt 25 Zähler. Diese Regeländerung sorgt für großes Unverständnis bei den Fans. (Quelle: imago/HochZwei)

Das sind die neuen Formel-1-Regeln 2014

Gibt es jemanden, dem sie persönlich ganz besonders die Daumen drücken?
Natürlich drücke ich allen Deutschen die Daumen.

Und konkret?
Sebastian Vettel, weil er mir am sympathischsten ist. Ich kenne ihn ja auch, weil ich mit ihm bei BMW gewesen bin. Ich finde, er bekommt zu viel Schelte wegen des Überholmanövers gegen Mark Webber in Malaysia. Die Pfiffe gegen ihn haben mich überrascht und fand ich nicht gerechtfertigt.

Warum?
Sowas hat immer eine Vorgeschichte. Webber war auch nicht unschuldig. Es gab bereits Reibereien. Beim Saisonfinale in Brasilien 2012 beispielsweise war er Vettel keine Hilfe. Und auf einmal ist der Vettel der Böse. Das ist eine zu einseitige Darstellung. Aber eigentlich ist das auch logisch, wenn einer so dominant ist.

Sie sind nicht mehr in der Formel 1 tätig. Was machen Sie jetzt genau?
Ich fahre in der Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC – nun erstmals eine ganze Saison.  Die Klasse nennt sich LMP1.

Wie stark unterscheidet sich das zur Formel 1? Was ist der Reiz für sie?
Optisch finde ich die Autos ansprechender in der Formel 1 und sie haben auch viel Abtrieb. Außerdem gibt es verschiedene Fahrzeugklassen, somit befinden sich unterschiedlich schnelle Autos auf der Strecke. Während meistens sechs-stündigen Rennen teilt man sich das Auto mit insgesamt 2 oder 3 Fahrern. Das ist eine spannende Aufgabe, die mir sehr viel Spaß macht.

Werden sie eines Tages in die F1 zurückkehren?
Das halte ich für unwahrscheinlich. Für mich wäre eine Rückkehr nur als Fahrer interessant und auch dann nur, wenn Aussicht auf Erfolg besteht. Dass ein großes Team jetzt kommt und ein Angebot vorlegt, ist doch eher unrealistisch.

12.03.2014, 13:16 Uhr
| Patrick Rutishauser, T-Online.de

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