Wir treffen uns in einem Berliner Café. Das Smartphone liegt auf dem Tisch, immer wieder werden zwischendurch die Nachrichten gecheckt. “Ich bin hier, doch meine Freunde und Bekannten sind in Bahrain – jederzeit können Nachrichten über Folter, willkürliche Verhaftungen oder Polizeigewalt reinkommen”, sagt Nazeeha Saeed. Sie arbeitet in dem autoritär regierten Golfstaat als Journalistin, vor allem für internationale Medien. Wir sprechen über staatliche Überwachung, Folter und die unerwartet aktive Social-Media-Strategie der bahrainischen Regierung.
Nazeeha Saeed hat selbst erfahren, was es heißt, willkürlicher Polizeigewalt ausgesetzt zu sein. Im Jahr 2011 wurde sie am Rande einer Großdemonstration, über die sie berichtete, verhaftet. “Polizisten schlugen mir ins Gesicht, versetzten mir Elektroschocks und verbanden meine Augen”, sagt sie. Noch heute könne sie die Erniedrigungen von damals spüren. Erst nach 13 Stunden kam sie wieder frei, nachdem sie ein Dokument unterzeichnet hatte. Was darin stand, weiß sie bis heute nicht: “Ich hatte Angst, ich wollte nur raus.” Seitdem denkt sie über jeden Tweet mehrmals nach, bevor sie ihn abschickt – denn die Regierung liest permanent mit.
Die Regierung reagiert auf jeden Tweet
Saeed erzählt, wie sie im Alltag überwacht wird. Als eines Tages ein Polizeieinsatz an einer Schule stattfand, wollten Journalisten darüber berichten. Doch alle Zugänge wurden abgeriegelt, die Polizei setzte Tränengas ein, um Berichterstattung zu verhindern. Schließlich fanden verschiedene Journalisten doch einen Weg auf das Gelände – und twitterten darüber, dass sie bei ihrer Arbeit behindert würden. Innerhalb weniger Minuten antwortete das Bildungsministerium auf die Tweets – und dementierte, dass es überhaupt einen Vorfall gegeben habe. Kaum eine Regierung auf der Welt dürfte sich die Blöße geben, in dieser Form auf Veröffentlichungen einzelner Nutzer zu reagieren.
Jeder kann Berichterstatter sein. Aber was in Deutschland für den alltäglichen, verlässlichen Informationsfluss keine große Rolle spielt, ist in einem Land mit gelenkten Medien wichtig. Dabei können schon vermeintlich harmlose Tweets gefährlich werden. Immer wieder gebe es in den sozialen Medien Berichte über alltägliche Probleme, sagt Saeed. Wenn es etwa nach langen Dürreperioden im Wüstenstaat wieder regnet, kommt es regelmäßig zu Überflutungen. Straßen sind blockiert, Autos werden weggeschwemmt, oder es bilden sich spontan kleinere Seen. Doch wer darüber berichtet und kritisiert, dass die Regierung seit Jahren nichts tue, um die Infrastruktur zu verbessern, kann schon Probleme bekommen.
Jeder Facebook-Eintrag kann zur Gefahr werden
In diesem Umfeld kann jeder Post in sozialen Netzwerken zur Gefahr werden: Willkürliche Straftatbestände wie Majestätsbeleidigung und die Diffamierung des Königreichs Bahrain führen dazu, dass die Regierung fast beliebig unbequeme Aktivisten einsperren kann. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht das Land daher auch auf Platz 163 von 180 Ländern.
“Fast jede sunnitische Familie in Bahrain hat ein Familienmitglied oder einen Verwandten, der im Gefängnis sitzt”, sagt Saeed. Ihre Mutter sei bis heute an jedem einzelnen Tag wütend auf die Regierung, wegen der Verhaftung ihrer Tochter vor fünf Jahren. Das Land hat nur 1,2 Millionen Einwohner, doch nach Angaben von NGOs gibt es dort mehr als 500 politische Gefangene. Politisch neutral zu bleiben sei für die wenigsten möglich, sagt Saeed. “Es gibt nur wenige Menschen, die einfach versuchen, mit der Regierung klarzukommen.”